Zeit

„Was ist eigentlich Zeit?“ „Es wäre schön, wenn du das selbst beantworten könntest.“

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Vielleicht mag manchen diese Frage bekannt vorkommen, aus einer Gesichte oder aus der eigenen Betrachtung. Gerade in der Sommerzeit –  jetzt, da es an den Abenden lange hell ist, kann man Zeit wieder mal von einer neuen Seite betrachten.

Hier im Weingut wacht über allem unsere Fortuna, diese Glücksgöttin mit den Initialen CM in der Hand, welche für Christian Meinhold stehen. Dem geschichtsbewussten Radebeuler ist unser Weingut ja auch bekannt als das Meinholdsche Turmhaus. Eine Tuschzeichnung aus der Zeit um 1780 von Adrian Zingg erinnert heute noch an diese Zeit, da die Meinholds hier wohnten. Der aus der Schweiz stammende Zingg war wohl Mieter in einer Dresdner Wohnung der Meinholds und so lag es nahe, dass er den Auftrag für eine Zeichnung des Turmhaus in Radebeul annahm. Es müssen schwere, aber auch schöne Zeiten hier gewesen sein. Adrian Zingg lud eines Tages seinen Schweizer Freund und Kollegen Anton Graff zu einer Wanderung ins Elbsandsteingebirge ein. Beide waren so angetan von den Stimmungen und Landschaften, dass sie sich wie daheim geborgen fühlten und fortan den Namen „Sächsische Schweiz“ in der Welt verbreiteten.

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Nicht ganz ohne Stolz haben die Sachsen diesen Namen bis heute angenommen: die Sehnsucht nach dem Reisen, das Fremde entdecken war damals schon des Menschen Inspiration. Die ganzen Jahre über zierte eben jene Tuschzeichnung von unserem Meinholdschen Turmhaus das Etikett meiner Weinflaschen. Erst in diesem Jahr haben wir etwas verändert. Wir sind „eigentlicher“ geworden. Nicht mehr ein Bild vom Haus, sondern die Fortuna selbst, ziert unser Etikett mit dem neuen Layout.

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Viele Dinge, die später neu entdeckt werden oder einfach der nachfolgenden Generation nützlich sind, haben ihre Herkunft in der Vergangenheit. Und so kommen wir wieder zur Zeit zurück. Denn der kleine Christian Meinhold war gerade mal 10 Jahre alt, als in dem Turm des Weingutes das neue Schlagwerk mit Glocke eingebaut wurde. Ob er das Gut damals schon kannte, schon einmal hier gewesen ist. Seither, genauer seit dem Jahr 1750, schlägt es zur vollen Stunde. Nicht immer ganz genau, aber das ist vielleicht ein Geheimnis, das die Nachbarn und Bewohner hier teilen. Viel später erst kaufte  Christian Meinhold das Gut dem Vorbesitzer ab. Die Glocke aber war fortan fester Bestandteil des täglichen Lebens auf dem Hof. Teilen wir heute die Zeit im gebräuchlichem Alltag in Sekunden auf, so reichte damals noch die volle Stunde. Der Begriff „Zeitgefühl“ beinhaltete damals wohl, das man – nachdem die volle Stunde geschlagen hatte- die Dauer bis zur nächsten vollen Stunde ganz gut abschätzen konnte. Kein Zug, der pünktlich kommen musste, sondern es geschah wohl so, wie heute mancherorts auch noch. Pünktlichkeit kann ja auch heißen, ein bisschen eher da zu sein.
Unsere Turmuhr selbst ist eine inzwischen recht seltene Einzeigeruhrmit Glockenschlag zur vollen Stunde. Das leichte Gewicht der Glocke allein bewahrte sie vorm Einschmelzen zum Gießen neuer Kanonen. Sie durfte bleiben.  Ihr Klang ist so schön und sanft, dass man ihn alsbald nur noch wahrnimmt, wenn man darauf wartet.  Nachts, wenn hier alles schläft, scheint es, als nimmt sie sich wie von selbst dezent zurück und als würde sie leiser schlagen. Von diesen vielen Geschichten, die heute auf dem Weingut noch gegenwärtig sind, in einem Buch oder einem Bild sind doch die mündlich überlieferten Geschichten die schönsten. Immer wieder finden alte Menschen hierher, die alsbald mit strahlenden Augen von ihrer Jungend hier erzählen und es scheint für diesen Moment, als existiere die Zeit zwischen damals und heute nicht.

Turmuhr 2016 (8)Wie gern bleibe ich selbst, nachdem die Turmuhr gestellt ist, noch im Turm und schaue aus einem der schmalen Turmfenster weit in die Weinberge hinaus. Das Treiben hier auf dem Gutshof, der feste Takt, den die Arbeit in der Landwirtschaft mit sich bringt, will verstanden sein. Dann fügt sich vieles. Für die Zeit der Erholung haben wir unseren Genussmenschen auf die Flasche mit dem neuen Layout gefüllt. Kommt vorbei-es ist ein gelungener Wein.

Flaschenfotos neues Etikett 2016 (8)

Karl Friedrich Aust