20 Jahre Später

Ein Müller-Thurgau kommt nach Sachsen zurück!

Müller-Thurgau 1994

20 Jahre Später

20 Jahre Später

1995 war die Zeit der Aufbruchstimmung. Ich war damals gerade mal 17 Jahre alt. Es waren die Jahre vor dem neuerlichem Erfolg des sächsischen Weinanbaus und des sächsischen Weines. Die heute bekannten großen Zugpferde der sächsischen Weinqualität übten sich gerade mit ersten kleinen Mengen. An die Sanierung vom Weingut Schloss Wackerbarth war noch nicht zu denken. Der Prinz, der später mit dem Schloss Proschwitz einen ehemaliger Wohnsitz der zur Lippes zurückbekam, wurde wegen seines Vorhabens, hier im Gebiet auch noch Rotwein etablieren zu wollen, verlacht. Altwinzer runzelten die Stirn, mancher Wein wurde mit der Bemerkung „zu sauer“ in den Spucknapf oder in den Blumenkasten am Ausschank der Schoppenstube in der Hoflößnitz gegossen. Dies war ein zentraler Treffpunkt der sächsischen Winzer, wo eben jene Proben aus dem Gebiet mitgebracht und verkostet, gelobt und gelegentlich auch verissen wurden.

Da machte der Kerner eines gewissen Klaus Zimmerling die Runde – ein Wein, der bis dahin in seiner Ausbauweise etwas Unbekanntes war. Ich habe später das Glück gehabt, von diesem wunderschönen Wein – wenn die Abende gut waren und die kleine Runde der Gäste besonders – ein Probeglas abzubekommen.

Mein erster selbstvergorener Wein war damals der 1994 Müller-Thurgau. Gepresst wurden die Trauben dafür mit freundschaftlicher Hilfe in den Übergangskellern des Prinzen zur Lippe. Hernach fuhr meine Mutter das riesige Auto mit dem großen Tank auf den Hof zurück und der Wein kam in unseren Keller. Dieser war zu der Zeit noch halb Kohlenkeller; die Obstgläser meiner Großmutter am Fuße der Treppe waren jedes Mal schutzlos den Bällen ausgesetzt, die beim Spielen auf dem Hof gelegentlich durch die offene Tür diese Richtung nahmen. Im Grunde war ich Gast im Keller meiner Großeltern und fragte höflich an, dort auch meine Most vergären zu können.

Was ich von der Weinherstellung wusste, waren einige Ratschläge eines Kellermeisters, der ebenfalls auf unserem Grundstück mit seiner Familie zur Miete wohnte. Seine Frau war in fast jeder Angelegenheit die schlichtende Seele auf dem Hof. Und sie ging mit geradlinigem Beispiel an Arbeitshaltung voran – etwa, um am Ende des Waschtages die Wäscheleine einzuwickeln und sämtliche Wäschestangen in den Schuppen zu tragen. Ihr Mann übernahm die wohlwollende Beratung bei meiner Weinherstellung und suchte immer den Vergleich zu beschreiben, wie sich ein Wein im Keller wohl fühlen mag. Natürlich hatten wir altersbedingt damals unterschiedliche Ansichten über das „wahre Leben“ und ich gab mir Mühe, ihn dennoch zu verstehen. Die einige Jahre zuvor heimlichen Verkostungen im Keller meines Vaters gegenüber reichten nicht aus, meinen Wein selbst herzustellen.

Als mein Vater noch seinen Wein vergor – es waren jährlich manchmal achtzig, manchmal gar hundertzwanzig Liter – roch ich in die leeren Fässer und versuchte, so viele Aromen wie möglich zu erfassen. Auf diese Weise lernte ich die gesamte Geruchswelt der leeren und vollen Fässer in unserem Keller kennen. Erst später ordneten sich mir die Begriffe dazu und ich verstand, dass der eine Geruch eine Kahmhefe war und der andere Geruch eben die Tiefe beschrieb, die einem Wein innewohnt, wenn er mit kargen Erträgen auf so wunderbarem Boden wie unserer Steilage gewachsen ist.

Um zu wissen, wie viel von dem stechend riechendem Schwefel in das Weinfass gehört, war ich auf die weitschweifenden Gleichnisse unseres Mieters angewiesen. Und dann hatte ich noch erfahren, dass die Hefe in einem Wein diesem hilft, diesen zur Reife führt und ihn – wenn sie lange genug mit ihm zusammen ist – schmelzig werden lässt. Dazu muss man sie aber von Zeit zu Zeit aufrühren. Und so füllte ich im Frühjahr 1995 meinen ersten eigenen Wein in die Flaschen. Der Anspruch war hoch: Zum Einen hatten wir vor zwei Jahren – bedingt durch die heißen Sommer – mit freundschaftlicher Hilfe einen wunderbaren Traminer hergestellt. Zum Anderen war der Freundeskreis meiner Eltern auf einen Weingeschmack eingetrunken, der sich irgend wo zwischen prägnant und einzigartig befand. Die Kunst bestand also darin Weine zu produzieren, die zwar prägnant blieben, die aber auch fast jeder verstehen konnte.

Die erste Weinvorstellung meines Müller-Thurgau fand nun bei einem kleinen und feinen Weinfest in der Hoflößnitz statt. Gerade noch rechtzeitig hatte meine Schwester ein Etikett entworfen. Eine alte Tuschezeichnung unseres Weingutes, gepaart mit ihrer wunderbaren Handschrift, erregten an diesem Tag beinahe mehr Interesse als der Wein selbst. Da wir die Etiketten erst auf die Flasche klebten, wenn ein Gast eine ganze Flasche und nicht nur ein Glas haben wollte, hörten wir oft die Frage, ob er auch noch ein Etikett für seine Sammlung haben könnte. Am Ende des Weinfesttages hatte ich 251 Mark in der Tasche – ein Vermögen !

Der Wirt der Schoppenstube hatte es sich zum Ziel gesetzt, möglichst jeden Winzer auf seiner Weinkarte mit mindestens einem Wein vorzustellen und den Gästen anzubieten. So hatte ich an diesem Tag noch meine erste richtige Weinlieferung. Die Arbeit in den Kellern bereitete mir zunehmend Spaß. Die Keller waren vollgestellt mit alten Dingen: zwischen den sandsteinernen Fassbänken waren Unmengen an aus Gips modellierten Entwürfen verstaut, denn der Besitzer des Anwesens zwei Generationen vor meinen Eltern war Bildhauer gewesen. Zwar galt es, den Charme der Keller und des gesamten Grundstückes zu erhalten, andererseits aber auch Platz zum Weinkeltern zu haben. So wurden Regale gebaut, in deren Etagen die unzähligen alten Unikate – und davon gab es gefühlte Tausend! – gestapelt wurden. In einer gewölbten Kellernische stand seit hunderten Jahren unverändert ein dreibeiniger Tiegel mit einer ebenso unveränderten harten Schicht darin. Dies war der Siegellack für die Flaschen. Die mir wichtigsten und letzten Flaschen Weines meines Vaters hatte ich bereits damit versiegelt und nun dachte ich darüber nach, wie viele Flaschen Müller-Thurgau ich versiegeln wollte. In der Jugend wie mitunter auch im Alter hegt man den Anspruch, Dinge für die Ewigkeit zu schaffen. Dass auch ein Wein wie fast alles dem Prozess des Alterns unterliegt, möchte man in dem Moment nicht wahrhaben. Und so machte es mir Freude und es war – wie eigentlich jedes Vorhaben damals – etwas Besonderes, einige Flaschen für die Ewigkeit zu versiegeln.

Seit meiner frühesten Kindheit ist unser Haus ein Haus, das immer allen offen stand. Später überschnitten sich meine Freundeskreise mit denen meiner Eltern. Sie durchmischten sich und wir waren miteinander zu Hause.

Einer unserer Gäste, ein entfernter Verwandter der Familie, saß eines Abends am kleinen runden Biedermeiertisch. Vor sich hatte er unzählige Pfeifen, die er immer – damit keine zu stark beansprucht wurde – nacheinander stopfte und rauchte. Niemals gebrauchte er eine Pfeife zwei Mal in Folge. Dann wurde die mit schwarzem Tabak gestopfte Pfeife mit einem Streichholz angezündet und wie in einer Zeremonie mit einem Pfeifenstopfer in einer genau festgelegten Weise nachgestopft, erneut angezündet und bald durchzogen Rauchschwaden das Wohnzimmer. Da fand sich die Zeit für Gespräche und es wurde auch darüber gemutmaßt, welcher Verschluss nun der geeignete für alle künftigen Weinflaschen sei. Wäre es wirklich notwendig, die Flaschen zu versiegeln? Dagegen stand dann natürlich die Frage, was das wohl bringen könnte, und kurzum entschieden wir, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

In einem für alle Freunde offenen Haus ist man auch freigiebig und auf gewisse Art spontan. So war mir klar, dass die Flaschen, die nun einem Langzeitversuch gewidmet wurden, woanders lagern müssten. Ich packte also sechs Flaschen in eine Kiste und beschriftete zwei Flaschen davon. Es war der 27. Juni 1995 und ich vereinbarte mit unserem Gast, dass er als Dank für die Lagerung vier Flaschen trinken dürfe, die untersten zwei aber, es waren die Beschrifteten – eine Versiegelte und die Unversiegelte – sollte er mir nach zwanzig Jahren zurückbringen. So wurde es beschlossen und wir verblieben, uns eines Tages wieder zu treffen.

Meine Schulzeit ging vorbei, ich reiste nach Amerika, später ging ich an den Kölner Dom, um Steinmetz zu lernen. Nie aber verlor ich mein Ziel, den Ausbau des Weingutes, aus den Augen. Wir eröffneten 2006 auf unserem Gut das Restaurant, dann baute ich den Keller etwas um, räumte schweren Herzens, aber einer bestimmten Logik folgend, die unzähligen alten leeren Flaschen aus den behelfsmäßig errichteten Regalen auf den Boden in den Schuppen. Wegwerfen kann ich sie bis heute nicht, obgleich die Menge 0,7 Liter gar nicht mehr gefüllt wird. Ich lernte Bodennährstofftabellen auswendig und legte die Prüfung zum Winzergesellen ab. Kurze Zeit darauf erfolgte die Zulassung zum Ausbildungsbetrieb.

Längst ist die Zeit vorbei, da man sich in der Hoflößnitz unter Kollegen zum Gespräch oder einfach nur zum Wein am Abend trifft. Der Aufbau oder besser alles, was jeder geleistet hat, fordert seinen Tribut. Allein der bloße Erhalt des Geschaffenen ist tagesfüllend. Nach der großen Aufbruchstimmung damals ab 1993 gibt es inzwischen eine neue Generation an Winzern. Und viele freuen sich, wenn diese sich nun an unserer Stelle engagieren und ihren eigenen Weg ebnen, oder sich mit uns treffen und die Organisation für diese Zusammenkünfte übernehmen. Viele ältere Winzer sind mit ihren eigenen Betrieben und sich selbst vollauf beschäftigt. Und allein mit der Arbeit auf so einem Weingut ist es noch lange nicht getan…

Neue Weingüter und Weinbaubetriebe wurden gegründet. Mit der Zeit wuchsen die Rebflächen über das Elbtal hinaus, da der Platz für eigene Weinberge an gewohnter Stelle und im Tal mittlerweils vergeben ist. Der Prinz – anfänglich verlacht – hat inzwischen Preise für seinen Rotwein eingeheimst. Seitdem verwöhnen neue wunderbare Rotweine den Besucher, der den Geheimtipps gefolgt ist. Auch Klaus Zimmerling ist seinem Weintyp treu geblieben und führt die Elite der Weingegend mit der Einzigartigkeit seiner Weine an.

Und Schloss Wackerbarth ist inzwischen saniert und umgebaut worden. Es ist nun ein stimmiges Gefüge in unserem Weinanbaugebiet, was dieses harmonisch zusammenhält, Winzer vereinigt und Anlaufpunkt für ratsuchende Weinbauern aus allen Himmelsrichtungen geworden ist.

Und was ist aus dem Müller-Thurgau geworden ?

Wiedersehen nach 20 Jahren

Wiedersehen nach 20 Jahren

Fast auf die Woche genau – nach den vereinbarten zwanzig Jahren – hat unser Familienfreund seinen Besuch angekündigt, um nun wie einst versprochen die zwei Flaschen Wein zurückzubringen. Und da waren sie wieder! Etwas scheu verlief das Wiedersehen mit den beiden Weinflaschen – vielleicht war es aber auch nur ich selbst. So viel eigene Geschichte, der man entgegenblickt!

Wir entschlossen uns, sogleich eine Flasche zu öffnen. Der Korken war in Ordnung und ließ sich anständig herausziehen – was für ein herrlicher Duft stieg uns in die Nase! Jedoch stellten wir gleich darauf fest, dass der Wein zu warm und es somit zu schade war, ihn so zu probieren. Also vereinbarten wir, uns tags darauf zum Mittag zu treffen und den Wein bis dahin herunterzukühlen, um ihn ein wenig Ruhe in seiner alten Heimat zu gönnen. Immerhin, so erfuhr ich von unserem treuen Freund, sind die Flaschen seither sechs Mal quer durch Deutschland mit ihm umgezogen.

Tags darauf trafen wir uns also zum Mittag in geselliger Runde auf der Lindenterrasse unseres Restaurants. Wir stellten uns dazu einen großen Tisch auf. Bei einem Weinabend tags zuvor in Dresden konnte ich mit dieser Geschichte nicht zurückhalten, als mich eine Frau fragte, seit wann ich denn Wein mache. „Eigentlich genau seit zwanzig Jahren. Ein Freund hat mir heute meine erste Flasche zurückgebracht. Darin ist mein erster eigener Wein, den probieren wir morgen.“ – „Das erzählen Sie doch sicher bei jeder Weinverkostung!“ antwortete sie lachend. Ungläubig nahm sie die Einladung zusammen mit ihrem Mann an, für den nächsten Tag auf das Weingut zu kommen. Und es gesellten sich noch ein paar Schweizer Weinhändler sowie ein Neuseeländer dazu, mit denen wir in diesem Moment zusammenstanden.

Der Mittagstisch war wunderbar, das Treffen war angemessen entspannt und mit den Flaschen Wein, die wir probierten, verliefen sich unsere Wahrnehmungen ins Zeitlose, das oder dies war doch gerade noch eben… Der Wein im Glas duftete klar und fein filigran. Keine breiten oder fehlerhaften Geruchsnoten. Er war gealtert, zeigte Nuancen in Richtung Sherry, aber so zart und fein, dass er seine Mineralik und Feingliedrigkeit behalten hat. Die Zartheit war ebenfalls geblieben und neben einem lang anhaltenden Geschmack war da ganz wundervoll der Boden und die Gegend wahrzunehmen, auf der die Reben gepflanzt wurden. Wir waren im Geiste bei diesem schönem Wein verbunden.
Ein anderer Freund sagte mir nach einer Verkostung feinster kalifornischer Weine einmal, er wünsche sich jetzt bitte ein Glas meines Müller-Thurgau. „Das ist doch Heimat und Geborgenheit, wenn man im Glas den felsigen Boden und das Zuhause aus dem Wein schmeckt!“

Und wie war das nun mit dem Vergleich der versiegelten Flasche zu der nur Verkorkten? Wir haben es nicht erfahren. Die zweite Flasche liegt noch im Keller – für einen anderen schönen Moment.

(Der 2014 Müller-Thurgau ist wieder ein so wundervoller Wein geworden, dass er derzeit meine Lieblingsempfehlung ist)

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Probeglas mit Kindheitserinnerungen